Fachbereich 3

Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik


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Das Geschwisterprojekt

Die Frage, wie sich Geschwister in ihrer musikalischen Entwicklung gegenseitig beeinflussen, wird in der Musikpsychologie bislang kaum gestellt. Die Familie wird in der Forschung meist auf die Eltern-Kind-Beziehung reduziert. Man weiß z. B., dass Kinder empfänglicher für Musik sind, wenn die Eltern vielfältige musikalische Anregungen bieten, dass die musikalische Entwicklung auch vom sozioökonomischen Background der Eltern abhängt und dass die aktive elterliche Begleitung des Musikschulunterrichts und des Übens positiv auf den musikalischen Erfolg der Kinder wirkt. Weiter wird die musikalische Entwicklung von den Zielen und Werten, sogar vom Selbstbewusstsein der Eltern beeinflusst und steht mit den Umgangsformen zwischen Eltern und Kindern in Zusammenhang, sowie mit der Eltern-Lehrer-Kind-Beziehung im Rahmen einer Musikschulausbildung (z.B. Creech 2009, 295).

Zeichnung zweier Geschwister, die sich um eine Gitarre streiten

Das Osnabrücker Geschwisterprojekt soll klären, inwiefern Geschwister an musikalischen Entwicklungsprozessen beteiligt sind. Dabei soll auch herausgefunden werden, warum in manchen Geschwisterbeziehungen Musik mit Neid und Rivalität verbunden ist, während in anderen Familien Brüder und Schwestern einträchtig musizieren, sich gegenseitig beim Üben helfen oder dieselbe Musik hören und zusammen in Konzerte gehen. In einer 2011 abgeschlossenen Vorstudie wurden 63 Musikstudierende gebeten im Rückblick frei zu beschreiben, welche Rolle ihre Geschwister in der eigenen musikalischen Entwicklung während der Kindheit und während der Teenagerjahre gespielt haben. Die Textantworten wurden im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse zusammengefasst und geordnet. Das Ergebnis sind 30 Inhaltskategorien, die sich den folgenden vier übergeordneten Kategorien („Beziehungskontexten“) zuteilen lassen:

  • Miteinander /Wechselbeziehung
  • Orientierung der oder des Befragten an einem Geschwister
  • Orientierung eines Geschwisters an der oder dem Befragten
  • Unterscheidung/Abgrenzung unter Geschwistern

In den ersten Beziehungskontext fallen Erinnerungen an gemeinsames Musizieren, Tanzen, Üben, Musikhören, an wechselseitige Motivation, Inspiration und Unterstützung, aber auch Erinnerungen an Konkurrenz beim Musizieren. Dabei interagieren die Geschwister mehr oder weniger auf Augenhöhe. Das ist bei dem zweiten und dem dritten Beziehungskontext anders. Hier werden entweder die Befragten selbst oder ihre Geschwister zu musikalischen Vorbildern oder Vorreitern. Sie leben z. B. das Instrumentalspiel vor, leiten das Üben an, ebnen den Weg in ein Ensemble oder wecken das Interesse an einer Musikrichtung. Die vierte Rahmenbedingung für musikspezifische Einflüsse unter Geschwistern besteht in der Abgrenzung. Weil der Bruder z. B. im Sport erfolgreich ist, sucht man sich selbst eher Anerkennung auf musikalischem Gebiet oder man lehnt eine Musikrichtung kategorisch ab, weil ein Geschwister sie bevorzugt. Diese vier Beziehungskontexte schließen sich nicht unbedingt gegenseitig aus. In ein und derselben Geschwisterbeziehung sind durchaus auch mehrere dieser Erfahrungen möglich. Natürlich geben die Befragten auch teilweise an, dass ihre Geschwister überhaupt keine Rolle für die eigene musikalische Entwicklung gespielt haben. Dies ist insbesondere bei großen Altersabständen der Fall. Außerdem sind Brüder deutlich häufiger als Schwestern rückblickend der Meinung, dass die Geschwister für ihre eigene musikalische Entwicklung kaum von Bedeutung waren. Kleine Altersabstände und Gleichgeschlechtlichkeit scheinen das „Miteinander“, aber auch Konkurrenz auf musikalischem Gebiet zu begünstigen. Eine Vorbild- oder Vorreiterfunktion übernehmen meist ältere Geschwister, aber auch die jüngeren können musikalische „Trends setzen“. Weitere Erhebungen sind geplant: Der offene Fragebogen soll noch einmal unter „Nichtmusikern“ zum Einsatz kommen. Denn auch sie machen vielfältige musikalische Erfahrungen, während der Kindheit und vor allem im Laufe des zweiten Lebensjahrzehnts: Musik bekommt mehr Bedeutung, weckt stärkere Emotionen, grenzt von der Elterngeneration ab und wird wichtiges Mittel zur Identitätsbildung. Welche Rolle spielen dabei die Geschwister? In einer weiteren Studie soll aus den Inhaltskategorien ein geschlossener Fragebogen entwickelt werden, der dann in größeren Stichproben eingesetzt werden kann. Dabei sollen Zusammenhänge mit weiteren Variablen, wie z. B. Familiengröße und Erziehungsstil der Eltern, ermittelt werden. 

Zeichnung: Zwei Geschwister sitzen nebeneinander und hören gemeinsam mit einem Walkman Musik.

Publikationen:

Olbertz, Franziska (2012a, in Vorb.). Wie Geschwister sich in ihrer musikalischen Entwicklung beeinflussen. Ergebnisse einer Erhebung mit offenem Fragebogen. In: Jahrbuch Arbeitskreis für Musikpädagogische Forschung (AMPF) Bd. 33.

Olbertz, Franziska (2012b, in Vorb.). Sibling influences on musical development. In: Proceedings of the 12th International Conference on Music Perception and Cognition (ICMPC), Thessaloniki, Griechenland.